In dieser Woche wurde weltweit viel über Google-Base spekuliert. Der neue Googledienst wirft gleich mehrere Fragen auf: Welche Bedeutung hätte ein Google-Base für die Zukunft des E-Commerce? Und wäre ein solcher "Basis-Dienst" nicht die perfekte Alternative zu herkömmlichen Shoppingportalen?
Google ist es mit der Google-Suche schon einmal gelungen, das Portalkonzept zu sprengen und eine Reihe von Informationsportalen in eine tiefe Sinnkrise zu stürzen. Würde Google-Base die heutigen Shopping-Portale nur ergänzen oder hätte es das Zeug, sie komplett zu verdrängen?
The Search
"The Search" von John Battelle ist ein wunderbares Buch für alle, die sich für die spannende Geschichte der Suche interessieren. Es beschreibt nicht nur, wie und warum Google zu einem Meilenstein dieser Geschichte wurde, sondern zeigt auch, wie Forscher weiterhin fieberhaft an allerlei neuen Modellen arbeiten, um Suchergebnisse noch relevanter zu machen, und welche Auswirkungen dies auf uns und unser Leben hat. Das Buch ist also mehr als eine Google-Biographie.
Über das eigentliche Thema hinaus führt einem "The Search" auch noch einmal zwei wesentliche Entwicklungen vor Augen. Aus meiner Sicht zwei Kernpunkte, um zu verstehen, wie schnell Dogmen fallen, sich Realitäten verschieben und Welten ändern können, und indirekt vielleicht auch, um zu erkennen, wie sich ein paar drängende E-Commerce-Probleme von heute ein für alle Mal lösen lassen.
- Das revolutionäre AdWords-Konzept, mit dem Google heute sein Geld verdient, ist gerade einmal dreieinhalb Jahre alt, die kontextsensitiven AdSense-Anzeigen gibt es sogar erst seit zweieinhalb Jahren. Zu kurz, um zu glauben, dass damit schon das Ende der Fahnenstange erreicht wäre. Wir können heute nicht ahnen, wie die Zukunft aussieht, sollten aber vorsichtshalber davon ausgehen, dass sie weit weniger mit der Vergangenheit gemein hat, als wir annehmen.
- Ein zweites und viel entscheidenderes Thema, das das Buch wieder wach ruft, ist die Portalfixiertheit der Vor-Google-Ära. Was ist besser, so die Grundsatzfrage, die Katalogisierung der besten Internetseiten von Menschenhand in Portalform oder ein vollautomatisierter Suchalgorithmus?
Für die Experten damals keine Frage: Das Portal galt als das ideale Modell, um große Informationsmengen strukturiert darzubieten. Niemand konnte sich vorstellen, dass eine reine Suchmaschine genügend Orientierung bieten kann, geschweige denn, dass es dafür ein lohnenswertes Businessmodell gibt.
Jeder glaubte, dass die Zukunft den geschlossenen (abgeschotteten) Portalen gehört, weil nur sie die Basis für ausreichend Werbeeinnahmen boten.
So konzentrierten sich alle Anbieter darauf, ihre Portale mächtiger, attraktiver und einladender zu gestalten und vernachlässigten dabei die Suchfunktion so stark, dass ein Exot wie Google das Feld von unten aufrollen konnte. Erst seit diesem Jahr beginnen Yahoo!, MSN und die anderen Portalbetreiber mit intelligenten Suchalgorithmen nachzuziehen.
Ich erwähne diese Diskussion auch deshalb, weil sie dem E-Commerce in ähnlicher Form noch bevorsteht. Für viele ist dies ein Nichtthema. Niemand will darüber streiten, wie lächerlich antiquiert heutige E-Commerce-Lösungen sind. Wer heute eine Diskussion über Sinn und Unsinn von Shoppingportalen führen will, der erntet bestenfalls ein müdes Lächeln. Shoppingportale sind Standard, das Nonplusultra. Bist Du verrückt? Wir brauchen Shoppingportale, Preissuchmaschinen, übergreifende Kataloge. Wie soll E-Commerce denn sonst funktionieren, ganz ohne Portale?!?
Ja, aber .... wieviele unterschiedliche Shoppingportale braucht die Welt denn wirklich? Es mag dem klassischen Einzelhandel nicht gefallen, aber letztlich ist das Internet ein einziges, riesiges Shoppingportal, aus Kunden- und Nutzersicht DER Universalanbieter schlechthin. Reicht also nicht ein wirklich guter Dienst aus? Wäre es nicht sinnvoll, endlich einen einheitlichen Basisdienst zu haben, einen Standard, der so gut durchdacht ist, dass er alle wesentlichen Kernelemente eines Shoppingportals (Suche, Empfehlungen, Vergleiche, etc.) ein für allemal zentral abdeckt und in seiner Basisfunktionalität alles bisher da gewesenene in den Schatten stellt?
The Base
Genau das ist es, was dem E-Commerce heute fehlt: ein einfaches Basisportal für die zentrale Verwaltung der Produkte. Insofern hat Google den Namen für seinen geheimnisumwitterten, neuen Dienst hervorragend gewählt: "Google-Base" könnte sich von Database (Datenbank) ableiten. Was aber, wenn es sich um den Versuch handelt, einen beschriebenen Basisdienst aufzubauen? Base wie basic?
Was, wenn plötzlich alle Kunden den einfachen und verlässlichen Basisdienst weitaus lieber nutzen als die vielen undurchsichtigen Portale? Was, wenn die Shoppingportale und die Mehrheit der heutigen E-Commerce-Anbieter entdecken, dass der Hauptfokus ihrer heutigen Arbeit, die Konzentration auf die Grundfunktionalitäten, nicht das Kriegsentscheidende ist, sondern dass es vielmehr darum geht, endlich den direkten Draht zum Kunden zu finden und ihn für die eigenen (tollen! unvergleichlichen!) Produkte zu begeistern.
"The Search" beschreibt auch, warum so unterschiedliche und einstmals beliebte Suchangebote wie Altavista oder Excite in ihrer damaligen Form nicht überleben konnten. Sie konzentrierten sich - jeder auf seine Art - auf die falschen Dinge. Gegenfrage: Was tun Quelle oder Otto heute? Braucht ein Basisportal Allerweltsanbieter wie Quelle oder Otto noch? Oder braucht es nicht vielmehr jede Menge profilierter, hochattraktiver Spezial- und Nischenanbieter mit einem guten Draht zu ihren Kunden?
Es muss nicht Google-Base sein, das den E-Commerce von den vielen unsäglichen Shoppingportalen befreit. Vielleicht sind es Ebay oder Amazon, Plattformen, die ihre Schnittstellen heute schon weiter öffnen als es sich viele andere Unternehmen jemals vorstellen können, oder ein neuer Anbieter, der die Menschen mit einer völlig anderen Lösung beglückt.
Die Musikindustrie kann ein Lied davon singen, wenn einem plötzlich
die Napsters der Welt mit neuen Universaldiensten den Markt streitig
machen. Der klassische Einzelhandel unterschätzt noch, wie einfach es
heute ist, ein massenattraktives, exklusives Sortiment aufzubauen, wie
agil die vielen, neuen Händler durch Technologie-Dienstleister wie
Ebay, Google & Co. werden, vor allem aber, dass der Online-Handel
auch wunderbar ohne die Ottos und Quelles auskommen kann.
Wir brauchen einen erstklassigen Basisdienst, der die komplette Produktverwaltung abdeckt und die Abwicklung sämtlicher Basisfunktionen übernimmt, damit sich der E-Commerce endlich auf seine Hauptaufgaben besinnen kann: den Verkauf, die ansprechende Präsentation und die lustvolle und emotionale Vermarktung seiner einzigartigen Produkte.
Vielleicht kann ein potenter Dienst wie Google ein bisschen frischen Wind in den festgefahrenen, katalog- und portalgläubigen E-Commerce-Markt bringen.
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