Ende Januar trafen zwei hochkarätige Handels- bzw. E-Commerce-Experten aufeinander: KarstadtQuelle-Chef Thomas Middelhoff und Ebay-Europa-Statthalter Philipp Justus analysierten beim Digital Lifestyle Day, wo Deutschland im E-Commerce steht - und kamen dabei zu zwei komplett unterschiedlichen Ergebnissen.
Beide nahmen an einer Podiumsdiskussion zum Thema "Europe´s Catch Up" teil. Die Vorlage lieferte Veranstalter Hubert Burda, der unter anderem mangelnden Unternehmergeist für das Hinterherhinken Europas ausmachte. Die Experten nahmen Stellung und beschrieben die Lage im E-Commerce.
Thomas Middelhoff sieht Europa durchaus aufholen:
- Im E-Commerce habe sich der Rückstand gegenüber den USA von 3 bis 4 Jahre auf etwa 14 Monate reduziert. Er gehe davon aus, dass Europa in Kürze aufschließt. Und KarstadtQuelle, hier vor allem Neckermann.de, habe seine E-Commerce-Strategie darauf ausgerichtet.
- Den fehlenden Unternehmergeist sieht er jedoch auch als ein gravierendes Problem.
Ganz anders Philipp Justus, der den E-Commerce aus Ebay-Sicht analysiert:
- Deutschland zählt zu den wachstumsstärksten Ebay-Märkten weltweit. Die Ebay-Penetration (Nutzer bzw. Umsatz je Einwohner) und die damit verbundene Händleraktivität liegt heute in Deutschland schon weit über den anderen Märkten. Aus seiner Sicht ist Deutschland also im E(bay)-Commerce seiner Zeit voraus.
- Und auch Unternehmergeist kann Justus entdecken, schließlich seien es die vielen kleinen Händler und Klein-Unternehmer, die die Ebay-Plattform so erfolgreich machen. Er räumt allerdings auch ein, dass man den Händlern den Einstieg leicht machen müsse und ihnen die Regeln (Steuerproblematik, etc.) möglichst einfach nahebringen müsse.
Wer hat nun also recht in seiner Einschätzung? Und wo steht der E-Commerce? - Vermutlich liegen beide richtig. Nur haben beide unterschiedliche Brillen auf:
- Thomas Middelhoff, Hubert Burda und andere denken bei
Unternehmergeist gerne in den großen Kategorien, an
kapitalintensive Unternehmungen, an Venture Capital, etc. Da steht
Deutschland vermutlich schlecht da. Kaum ein innovatives Konzept, das
aus Deutschland kommt bzw. wenn, dann andernorts vermarktet wird (s.
MP3, etc.)
- An experimentierfreudigen Händlern und Verkäufern mangelt es hingegen nicht, wenn man sie - wie Ebay - entsprechend an die Hand nimmt.
Und darauf setzen ja auch Unternehmen wie Spreadshirt & Co mit ihren community-orientierten Verkaufskonzepten und einer Vielzahl von Verkaufshilfen. Vermutlich ist gerade Deutschland - mit seinen Ebay-geschulten Verkaufsbrigaden - besser gerüstet für ein Web 2.0 und die damit verbundenen Social Commerce Aktivitäten als gemeinhin angenommen.
Frappierenderweise kommen aber die innovativen Tools und Verkaufskonzepte für sie weiterhin aus den USA (bzw. zum Teil aus Frankreich) - und so wird es wohl noch eine Weile dauern, bis Etsy & Co. auch hierzulande an den Start gehen und die Welle überschwappen kann.
[Das Video zur Podiumsdiskussion gibts beim Digital Lifestyle Day. Im Fokus stand die Aufholjagd in Europa. E-Commerce war deshalb nur in einer kurzen Sequenz gegen Ende ein Thema.]
Zu den E-Commerce-Strategien der beiden Unternehmen:
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