Im deutschen E-Commerce vollzieht sich gerade ein erstaunlicher (Sinnes-)Wandel. Aus den unterschiedlichsten Gründen öffnen die großen Händler ihre Online-Plattformen und setzen verstärkt auf Kooperation statt Wettbewerb. Bisher nicht für möglich gehaltene Online-Bündnisse zeichnen sich ab.
Wenn man die aktuelle Entwicklung verfolgt und den Faden etwas weiterspinnt, dann sei die grundsätzliche Frage erlaubt: Sind Handelskooperativen und genossenschaftlich organisierte Verkaufsmodelle nicht generell der Ausweg aus dem Hyperwettbewerb im Online-Handel - frei nach dem Motto "Gemeinsam sind wir stärker"?
Man muss sich immer noch dreimal die Augen reiben, wenn man sich die neuen E-Commerce-Strategien von Otto und KarstadtQuelle ansieht. Einst hartnäckig auf ihre Eigenständigkeit bedacht, werben die Versandhandelskonzerne inzwischen intensiv um Kooperationspartner und sind sogar bereit, direkte Konkurrenten ins Boot zu holen.
Einem Offenbarungseid gleich wären Aussagen wie diese noch vor kurzer Zeit gekommen:
- "Wir haben die Kunden, Sie das Sortiment" (Otto)
- "10.000.000 Visits im Monat, die auf Ihre Produkte warten" (Neckermann.de)
In diesem Sommer kommt es zu der kuriosen Situation, dass alle führenden Online-Plattformen - Amazon, Ebay (Express), KarstadtQuelle und Otto - gleichermaßen um attraktive Handelspartner buhlen.
Rosige Zeiten also für Online-Händler, die ihre Zukunft als Teil eines Vollsortimenters sehen.
Der Entwicklung lässt sich viel Positives abgewinnen: Gemeinsam werden sich die Online-Händler sicherlich leichter tun, ihren Markt zu finden. Und letztlich werden die Zusammenschlüsse auch die Marktbereinigung im Universalversand beschleunigen: Nicht mehr wettbewerbsfähige Ware wird schneller aus den (Online-)Katalogen verschwinden und zügig durch attraktivere Angebote ersetzt.
Interessant zu beobachten wird in den kommenden Monaten sein, wo die heiß umworbenen, unabhängigen Händler ihre Zukunft sehen:
- Werden sie eher neutralen Plattformen wie Ebay Express, ElectronicScout24, Google Base, etc. den Vorzug geben, auch wenn diese in der Auftragsabwicklung und im Kundenservice den großen Handelskonzernen eindeutig unterlegen sind?
- Oder ist das Vertrauen der Händler schon groß genug, um sich problemlos auf die Plattformen der übermächtigen Mit-Konkurrenten zu begeben, wo immer die Gefahr besteht, dass das Eigeninteresse der Plattformbetreiber im Zweifel Vorrang hat?
Oder - und das wäre eine dritte Variante - werden die starken, unabhängigen Händler und (Marken-)Hersteller nicht über kurz oder lang eigene Bündnisse schmieden, die ohne dominierenden Partner auskommen und ihnen ein stärkeres Mitspracherecht und mehr Gestaltungsspielraum ermöglichen?
Von ihrem etwas angestaubten Ruf mal abgesehen, wäre es nicht das erste Mal in der Geschichte, dass Genossenschaftsmodelle die Wettbewerbsposition unabhängiger Unternehmen verbessert haben. Beispiele wie Edeka, Intersport, Datev, etc. belegen dies.
In jedem Fall wird das Thema Abhängigkeit für den ein oder anderen Händler in Zukunft eine Rolle spielen und vielleicht erleben ja ausgerechnet die Handelsgenossenschaften eine Renaissance?
[Brand Eins hatte vor kurzem einen interessanten Artikel zum Thema. Unter dem Titel "Echte Hilfe" ging es unter anderem um wirtschaftliche Kooperationsmodelle. Darin wurde auch das Genossenschaftsmodell vorgestellt und am Beispiel der Towerbyte e.G., gezeigt, wie sich ehemalige Intershop-Mitarbeiter nach dem Zusammenbruch der New Economy mit ihren neuen Firmen erfolgreich genossenschaftlich organisiert haben.]
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