Die gerade veröffentlichten bvh-Zahlen werfen ein komplett neues Licht auf die Marktverhältnisse im E-Commerce. Denn die vom bvh und seinen Mitgliedern gerne kolportierte Sicht, dass die Katalogversender die marktbestimmenden E-Commerce-Treiber sind, ist so nicht mehr haltbar.
Beinahe das komplette Marktwachstum im Versandhandel von ca. 6 Mrd. Euro lässt sich auf die neuen Player im elektronischen Versand zurückführen. Deutlicher denn je wird: Während die Katalogversender hauptsächlich Umsätze verlagert haben, haben die neuen Versender mit ihren Verkaufskonzepten zusätzliche Märkte geschaffen.
Laut bvh-Zahlen kommen die Multi-Channel-Versender (Katalog und Internet) auf 4 Mrd. Euro E-Commerce-Umsatz. Für den Handel über elektronische Medien ergäbe sich daraus folgende Marktverteilung:
Erkenntnisse:
- Die Katalogversender gehören mit einem Umsatz von 4 Mrd. Euro und geschätzten 31% Marktanteil im elektronischen Versand zu den führenden, wenn auch nicht zu den marktbestimmenden E-Commerce-Playern
- Internet Pure Player, Ebay Powerseller, Teleshopping, also Versender, die sich rein auf den elektronischen Handel konzentrieren, kommen zusammen auf fast 50% Marktanteil. Weitere Pure Player (wie der Arzneimittelversand) sind unter den Sonstigen enthalten, so dass der tatsächliche Wert noch höher liegen dürfte.
- Live-Shopping-Konzepte, vor allem von den Teleshopping-Versendern und von Ebay Powersellern praktiziert, haben einen Marktanteil im Bereich zwischen 10% und 26%.
- Der E-Commerce-Handel steht kurz davor, das Kataloggeschäft zu überrunden: Der elektronische Versand kommt (incl. Teleshopping) auf ca. 12,8 Mrd. Euro Umsatz; das Kataloggeschäft auf ca. 13,5 Mrd. Euro. (Versandhandel Gesamt: 26,3 Mrd. Euro).
Anmerkungen:
- Das gesamte Marktvolumen hängt maßgeblich davon ab, wie man Ebay einschätzt. Die zugrundeliegende Studie (PDF-Charts) berücksichtigt ausschließlich die (kommerziellen) Ebay Powerseller; es ist allerdings davon auszugehen, dass das zukünftige Wachstum im E-Commerce zum Teil in semi-professionellen Bereichen (Ebay, Etsy, Prosumer-Kultur, etc.) stattfindet, die hier noch nicht berücksichtigt sind.
- Der Einfachheit halber wurde für die obige Übersicht der E-Commerce-Markt definiert als Versandhandel Gesamt minus Kataloggeschäft der Multi-Channel-Versender. Nicht auszuschließen ist, dass auch unter "Sonstige Händler" Waren über Katalog versandt werden. Das ändert jedoch nichts an den grundsätzlichen Marktverhältnissen.
- Deshalb auch nochmal der generelle Hinweis: Bei der obigen Darstellung handelt es sich um eine sehr grobe Abschätzung auf Basis der veröffentlichten Informationen. Die Marktanteile sind deshalb nicht mehr als grobe(!) Orientierungspunkte. Die Werte deshalb bitte nicht überinterpretieren.
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Ich halte es auch für sehr begrüßenswert, dass der bvh seine Zahlen der Realität angepaßt hat. Damit wird dann auch „offiziell“ deutlich, dass die hohe Wachstumsdynamik des E-Commerce zu starken Umsatzzuwächsen und zu Veränderungen im gesamten Distanzhandel geführt hat.
Allerdings sind damit auch die Marktanteile der etablierten Anbieter im Distanzhandel gesunken. Die Multi-Channel-Versender erreichen zusammen nur noch einen Anteil von 66,6% der gesamten Distanzhandelsumsätze in Deutschland.
Die Umsätze der Multi-Channel-Versender aus dem Kataloggeschäft liegen dann laut bvh bei 13,5 Mrd. EURO, d.h. der Anteil des Kataloggeschäfts am gesamten Distanzhandel liegt nur noch bei rund 51%.
Betrachtet man die großen Player der Multi-Channel-Versender so zeigt sich folgendes Bild:
Die OTTO Gruppe hat laut Pressemitteilung am 22.6.2006 zur Bilanzpressekonferenz mit den inländischen Gesellschaften OTTO, Baur, Schwab, Bon Prix und Heine im vergangenen Geschäftsjahr einen Umsatz in Höhe von rund 5,3 Mrd. EURO erzielt. Wenn man die Zahlen des bvh zugrundelegt, ergibt das einen Marktanteil von OTTO am Distanzhandelsmarkt in Höhe von rund 20%.
Die KarstadtQuelle AG hat in ihrem Geschäftsbericht für 2005 inländische Versandhandelsumsätze in Höhe von rund 4,9 Mrd. EURO ausgewiesen. Anhand der Zahlen des bvh ergibt das einen Marktanteil von Quelle / Neckermann am Distanzhandelsmarkt in Höhe von rund 18,5%.
Auch hierzu der gleiche Hinweis, wie bei Jochen Krisch: Es handelt sich um eine sehr grobe Abschätzung auf Basis der veröffentlichten Informationen. Die Marktanteile sind deshalb nur grobe Anhaltspunkte, welche die starken Veränderungen im Markt verdeutlichen sollen.
Diese gesunkenen Marktanteile sind für die Katalogversender sicherlich eine schlechte Nachricht.
Die gute Nachricht ist, dass das über Jahre als stagnierend angenommene Marktvolumen im Distanzhandel mit den neuen bvh-Zahlen von 20 auf 26,3 Mrd. EURO gestiegen ist. Das Neukundenpotential hat sich noch erheblicher vergrößert: In der Pressemitteilung des bvh vom 09.12.05 ging man noch von fast 25 Millionen Onlinekäufern aus – laut der Pressemitteilung vom 10.07.06 sind es jetzt 51,8 Millionen Distanzhandelskäufer.
Die Veränderung der Wettbewerbsstruktur im E-Commerce und damit im gesamten Distanzhandel wird auch zukünftig weiter zunehmen. Social Commerce, neue Onlinemarktplätze, neuartige Portalkonzepte sowie Preissuchmaschinen werden es einer Vielzahl zusätzlicher Anbieter ermöglichen, mit geringem Aufwand den Wettbewerb mit etablierten Versendern aufzunehmen.
Aber auch die Umsätze im Distanzhandel werden in den nächsten Jahren weiter wachsen. Allerdings werden nur Unternehmen ihre Marktanteile sichern und vom Marktwachstum profitieren können, die ihre Strategie an den veränderten Wettbewerb anpassen.
Das Ebay nur mit rund 2 Mrd. EURO in das gesamte Marktvolumen einfließt, halte ich auch für zu gering. In 2005 betrug das Handelsvolumen von Ebay in Deutschland 8,5 Mrd. US-Dollar – das sind laut dem durchschnittlichen Jahreswechselkurs aus der Devisenkursstatistik der Deutschen Bundesbank 6,8 Mrd. EURO. Aus meiner Sicht wäre eine Berücksichtigung aller Neuwarenumsätze bei Ebay passender. Der Anteil der Warensortimente am Umsatz bei eBay Deutschland (d.h. ohne Autos, Motorräder, B2B, Reisen, Tickets und Immobilien) betrug in 2005 schätzungsweise rund 80%. Den Anteil der Neuware am Umsatz der klassischen Versandhandelssortimente auf Ebay lag in 2005 schätzungsweise bei 60%. Mit Hilfe dieser Annahmen kommt man zu einem Neuwarenumsatz in den klassischen Versandhandelssortimenten bei Ebay in Höhe von 3,3 Mrd. EURO.
Kommentiert von: Thorsten Boersma | 12. Juli 06 um 16:22 Uhr