Mit einem neuen Umsatzrekord setzt sich der ungebrochene Aufschwung im deutschen Versandhandel fort. Der Bundesverband des deutschen Versandhandels (bvh) hat heute seine Marktzahlen für 2007 vorgelegt. Sie sind das Ergebnis einer Repräsentativbefragung von tns infratest:
- Danach wächst der Versandhandel im Vergleich zum Vorjahr um 5% auf 27,6 Mrd. Euro
- Wachstumstreiber sind die reinen Internetversender (+9%), die Ebay Powerseller (+26%) sowie Herstellerversender, Apothekenversender und andere neue Markteilnehmer
- Die Bedeutung der Multi-Channel-Versender sinkt bei stagnierenden Gesamtumsätzen (-0,5%) weiter deutlich. Ihr Markanteil fällt um 4 Prozentpunkte von 67% auf 63%.
- Im Onlinewachstum können die Multi-Channelversender allerdings gut mithalten. Es liegt leicht unterdurchschnittlich auf dem Niveau der reinen Internetversender (+9%)
- Etwas rätselhaft sind die Werte für das Teleshopping. Laut bvh-Befragungen sollen die Umsätze von 1,3 auf 1 Mrd. gesunken sein. Die von den vier großen Sendern veröffentlichten Umsätze liegen jedoch weit darüber.
Der bvh hat im letzten Jahr erstmals eingestanden, dass er die Öffentlichkeit mit falschen Marktzahlen jahrelang an der Nase herumgeführt hat. Oder wie Verbandspräsident Rolf Schäfer heute nochmal bekräftigte:
"Es war erkennbar geworden, dass die bisherige Umsatzstatistik der Realität des Markts nicht mehr voll gerecht wurde."
Das in diesem Jahr vorgelegte Zahlenwerk (PDF) liefert daher nun erstmals seit dem Aufkommen des Internets ein realitätsnahes und vergleichbares Bild der Marktentwicklung im deutschen Versandhandel.
Leider konnte es sich Verbandspräsident Schäfer - als Chef der Otto-Tochter Schwab ein Vetreter der alten Garde - auch in diesem Jahr nicht verkneifen, den klassischen Versandhandel trotz mäßiger Performance über die Maßen hochleben zu lassen.
Allerdings wirkt es zunehmend bemühter und beinahe schon peinlich, wenn er in seiner Rede nicht müde wird zu betonen:
"Noch ein kurzes Wort zu den Multi-Channel-Versendern, die, wie gesagt, immer noch mit deutlichem Vorsprung die beliebteste Anlaufstelle für Versandhandelskunden sind."
Auch durch permanentes Wiederholen und gegenseitiges Schulterklopfen lässt sich die Lage kaum noch schön reden: Die Multi-Channel-Versender haben das Internet verschlafen, können trotz erheblicher Umsatzverlagerungen online gerade so mithalten und lassen sich von zahlreichen neuen, agilen und innovativen Marktteilnehmern Jahr für Jahr Marktanteile abjagen.
Die Charts zur Pressekonferenz, die Rede des Verbandspräsidenten und die Pressemeldung sind online.
Weitere Beiträge zum Thema und eine Einordnung der Zahlen folgen.
Frühere Beiträge:
Jedes Mal wenn ich solche Pressemeldungen von den großen Universalversendern oder ihren Sprachrohren lese, schleicht sich ein Grinsen auf mein Gesicht. Dort ist dann immer die Rede vom nach Amazon „zweitgrößten E-Commerce Anbieter der Welt“ und von unglaublichen Wachstumsraten, tollen Innovationen und Erfolgsstories. Fakt ist, dass die Ottos und Quelles dieser Welt den Channel Shift weg vom Katalog hin zu E-Commerce komplett unterschätzt und viel zu lange belächelt hatten. Je nach Warengruppe lag ja der Online-Anteil vor 2 oder 3 Jahren meist kaum über 10% des Gesamtumsatzes. Anstatt bereits vor 10 Jahren die tolle Ausgangsposition zu nutzen, um insbesondere die Prozesse umzuorganisieren, wanderten die Budgets weiterhin in den Printbereich.
Und das Schlimmste ist gar nicht mal, dass die großen im Internet nach wie vor nur Hausmannskost bieten. Viel größere Tragweite hat die Tatsache, dass trotz der mittlerweile hohen Online-Umsätze hinter den Kulissen meist noch die alten Steinzeitprozesse ablaufen. Da wird weiterhin in Herbst- und Winter-Saisons gedacht und die Ware entsprechend beschafft. Da fließt eine Katalogumlage in die Verkaufspreiskalkulation ein, die die Verkaufspreise nach oben drückt. Da werden Kostenstrukturen beibehalten, die im Internet bei vielen Sortimenten (z.B. Unterhaltungselektronik) schlichtweg keine wettbewerbsfähigen Preise ermöglichen. Da wird im Netz das Angebot in manchen Kategorien künstlich auf einen Hersteller begrenzt, weil man mit dem ja einen tollen Knebelvertrag für Print gemacht hatte. Da wird an Bezahlungsmechanismen festgehalten, die aus der Nachkriegszeit stammen (Führung eigener Kundenkonten). Da werden viele Ideen auch gar nicht umgesetzt, weil hierfür der alte Host (!) umprogrammiert werden müsste. Ich könnte ewig so weitermachen...
Ich finde es immer wieder faszinierend, wie eklatant die Außendarstellung bei diesem Thema von der Realität in den Unternehmen abweicht. Die Universalversender haben bei ihrem Umbau zu Internet-getriebenen Unternehmen noch einen viel weiteren Weg vor sich, als man gemeinhin glauben mag.
Kommentiert von: tom | 05. Juli 07 um 18:27 Uhr
...dem Kommentar ist nichts hinzuzufügen. Wenn man einmal gehört hat, wie eine simple Artikelbewertungs-Funktion als "Web 2.0"-Innovation für den Shop gelobt wird, weiß man, wie in diesen alten Schlachtschiffen mit deutlicher Schlagseite der E-Commerce-Hase läuft....
Kommentiert von: Gridstalker | 06. Juli 07 um 15:32 Uhr