2007 war ein unglaubliches Jahr. Wer sich bisher noch nicht vorstellen konnte, wie das Web in einigen Jahren aussehen wird, der bekam in diesem Jahr durch Facebook und die OpenSocial Initiativen der großen Networks die letzten, entscheidenden Hinweise geliefert.
Das Internet löst sich auf ... und entsteht als Web wieder.
Offenkundig sind die Veränderungen radikaler als gemeinhin erwartet. Das "Network" läuft dem "Portal" den Rang ab und wird ihm in Sachen Nutzerakzeptanz weiter zusetzen. Zumal die reichweitenstarken Portale am Status Quo hängen und von einer Öffnung und offenen Strukturen dort noch nicht einmal ansatzweise die Rede sein kann.
Deutlich wird inzwischen, dass es sich bei der Weiterentwicklung - vom heutigen Internetportal- hin zum Network-Gedanken des Web 2.0 - wohl weniger um einen evolutionären Prozess handelt, wie von vielen gerne propagiert, sondern um zwei parallele Entwicklungsstränge, die um die Vorherrschaft kämpfen: "Internet" vs. "Web".
Die aktuelle Entwicklung kommt damit eher einem Systemwechsel gleich, wie wir ihn beispielsweise Anfang der 90er Jahre erleben konnten, als die damalige "Masse" der PC-Nutzer MS-DOS den Rücken gekehrt hat und auf Windows umgestiegen ist.
Die graphische Nutzeroberfläche, schnelleren Prozessoren geschuldet, führte zu einem weitaus intensiveren Umgang mit dem Computer. Ähnlich wie heute: Selbe Basistechnologie (Die Internetgrundtechnologie bleibt erhalten), komplett andere Herangehensweise, neue Anwendungen, neuer Entwicklungsschub.
[Interessanterweise ging auch Windows in der allgemeinen Wahrnehmung mit Version 3.1 an den Start. Es sollte einen also nicht verwundern, wenn das Web mit Version 2.0 auf den Plan tritt. Vor allem sollte man nicht den Fehler machen, das heutige Internet mit Web Verison 1.0 gleichzusetzen. Echte, leidgeprüfte, Web 1.0 Nutzer wird man ähnlich lange suchen müssen wie Windows 1.0 Anwender.]
Jede Menge alte Konzepte für eine neue Welt
Von einer "komplett anderen Herangehensweise" und einer neuen Internetdenke kann allerdings hierzulande noch keine Rede sein. Zu sehen ist gerade mehr Aktionismus als strategische Weitsicht. Die etablierten Unternehmen halten sich mit kosmetischen Korrekturen auf. Kaum jemand will verstehen, was die aktuellen Entwicklungen wirklich bedeuten, geschweige denn, sich dann entsprechend radikal neu darauf ausrichten.
Optimal drückt den aktuellen Zustand der Internetszene deshalb ein Spruch aus, den wir auf der letzten OMD aufgeschnappt haben: "Auch wir haben Mitte der 90er Jahre noch massig DOS-Rechner verkloppt, als Windows schon längst Standard war." Man muss sich also nicht wundern, wenn 95% der "neuen" Web 2.0 Konzepte heute noch so verdammt alt aussehen.
In der konzeptionellen Arbeit kann man das Internet in seiner heutigen Form und seine Auswüchse (SEO, SEM, etc.) ohnehin weitgehend vergessen. Das heutige Google dürfte in einem hochgradig vernetzten Web, das ohne statische Homepages auskommt, ähnlich relevant sein wie das Filedirectory von MS-DOS. (BTW: Ist Ihr Shop ohne Google überlebensfähig?)
Wenn man sich die Entwicklung bei den (Web-)Widgets oder bei den Office-Anwendungen vor Augen führt, dürfte das Web daher konzeptionell eher in der Tradition von Windows & Co stehen. Aber selbst Microsoft hat sich ja noch nicht entschieden, ob nun Vista der legitime Nachfolger von Windows ist oder "Windows live".
Und was heißt das alles für den E-Commerce?
Alles, was wir 2007 an durchaus vielversprechenden Ansätzen gesehen haben, geht längst noch nicht weit genug. Die wirklichen Innovationen stehen noch aus. Vor allem der Facebook-Check offenbart: Die heutigen Konzepte erweisen sich in der neuen Umgebung als mehr als mangelhaft. Nötig sind radikal neue Ansätze. Daran gilt es zu arbeiten.
Frühere Beiträge zum Thema:
Ein super Artikel! Und hoffentlich folgen darauf im neuen Jahr die Artikel darüber, wie das Marketing im vernetzten Web der Zukunft aussehen wird.
Nämlich mit völlig neuen Formen und Ansätzen, wie sie heute noch kaum angedacht sind: Gute Werbung ist dann etwa die Moderation einer stark frequentierten Gruppe auf Facebook. Oder ein zielgruppenspezifisches (Produkt-)Profil auf MySpace.
Die Firmenwebsite dient dann wohl nur noch dem Geo-Tagging für das hauseigene Factory Outlet, auf dass die Kunden per Handynavigation auch wirklich dorthin finden...
Kommentiert von: Matthias | 31. Dezember 07 um 18:47 Uhr