Der Medienkonzern Bertelsmann nutzt die Gunst der Stunde, schnappt sich Netrada ("arvato stärkt Wachstumsplattform E-Commerce") und steigt mit Arvato groß ins Online-Modegeschäft ein.
Netrada wickelt für Esprit, C&A und andere Modeunternehmen jährlich Bestellvolumina in Höhe von mehreren Milliarden Euro ab und deckt marktführend eines der zukunftsträchtigsten (Online-)Handelssegmente ab ("Die deutsche Modebranche im Online-Raster"). In der Pressemitteilung heißt es:
"Der Kauf von Netrada ist eine der größten Transaktionen von arvato. Er stärkt arvato nachhaltig und die Position im vielversprechenden E-Commerce-Geschäft, das im Rahmen der Bertelsmann-Konzernstrategie zu den definierten Wachstumsplattformen zählt.
Durch den Zusammenschluss steigt arvato zu einem der führenden europäischen Dienstleister für integrierte E-Commerce- Services auf. Der Umsatz der gemeinsamen Geschäftsaktivitäten wird bei mehr als 300 Mio. EUR liegen, die Zahl der Mitarbeiter bei mehr als 3.000."
Der Insolvenzverwalter hatte sich bei Netrada "einen zeitraubenden Bieter-Wettbewerb" erspart und "so schnell wie möglich den aussichtsreichsten Kandidaten identifiziert, mit dem wir dann sehr zügig in die Verhandlungen gegangen sind."
Im Zuge der Übernahme hat Arvato angeblich die Verträge mit den bestehenden Netrada-Kunden neu ausgehandelt.
Leer ausgegangen sind (mal wieder) die Handelskonzerne wie Otto (mit Hermes), Metro, REWE & Co., aber auch Ebay und andere, die sich damit eines der wichtigsten Zukunftsfelder aus der Hand nehmen lassen (siehe auch Exchanges #33: Was dem (Online-)Handel 2014 blüht)
Arvato befindet sich derzeit in einer extremen Umbruchphase und ist gerade dabei, sich neu auszurichten.
Mit dem Modegeschäft von Netrada ist Bertelsmann/Arvato nun eine der heißesten Exitoptionen für aufstrebende Modeplattformen wie Stylefruits, Stylight und deren internationale Pendants, über die Arvato/Netrada gut Mode vertreiben könnte.
Spannend ist in diesem Zusammenhang auch das Beteiligungsportfolio von Bertelsmann. Es umfasst unter anderem Stylehaul, aber auch E-Commerce-Startups wie Frank & Oak oder Returbo.
Und wenn man dann noch sieht, dass Arvato rund um Webmiles einen ganzen Strauß an Direktvertriebs- und Kundenbindungsinstrumenten hat, dann wäre Bertelsmann nun duchaus in der Lage, mit ein paar weiteren, geschickten Übernahmen und Beteiligungen ein E-Commerce-Powerhouse à la Rakuten auf die Beine zu stellen (siehe auch Exchanges #9: Rakuten unter der Lupe)
Recht viel spannender jedenfalls hätte das E-Commerce-Jahr nicht beginnen können.
Arvato ist seit 2013 auch in der K5 Liga vertreten.
Frühere Beiträge zum Thema:
- Netrada: Bekommt Bertelsmann mit Arvato den Zuschlag?
- Exchanges #24: Netrada und die fragile Welt des E-Commerce
- Debatte: Haben sich Full-Service-Modelle in der Logistik überlebt?
- Netrada-Investoren schreiben 500 Mio. Euro in den Wind
- Wie Esprit Netrada in den Abgrund zieht - und umgekehrt
- Netrada: Was in den Monaten vor der Insolvenz geschah
Spannende These, aber wahrscheinlich passiert das was in Großkonzernen fast immer mit solchen Geschäftsmodellen passiert. Sie werden per Standard verwaltet und nicht weiterentwickelt. Und das ist mE im E-Commerce Service Bereich essentiell. Wenn man deiner These folgt, dann müsste ja auch SAP mit Hybris ein E-Commerce Super Ding sein. Das ist es aber nicht, wenn man mit den Kunden darüber redet. Aber das Potential ist immerhin da.
Kommentiert von: Alex (www.kassenzone.de) | 11. Januar 14 um 09:26 Uhr
Naja, zumindest bekommt Arvato auf diese Weise noch mehr Transkationen und damit bessere Konditionen bei den Dienstleistern (z.B. Paketdienste) und wenn sie die Verträge mit den Netrada-Kunden neu verhandelt haben (die haben sich darüber bestimmt ganz doll gefreut :-) ), dann dürfte sich Arvato damit ein sicherlich nicht unprofitables Geschäft ins Haus geholt haben.
Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass die betroffenen Kunden das nur als Übergangslösung sehen und nun intensiv damit beginnen, in eigene eCommerce-Kompetenz zu investieren.
Kommentiert von: Claus Fahlbusch | 11. Januar 14 um 12:02 Uhr
@Alex SAP/Hybris ist eine rein technische Dienstleistung, ohne Handelskomponente, insofern aus meiner Sicht ein komplett anderer Fall.
Stimmt aber: Die Frage ist, ob Bertelsmann/Arvato den E-Commerce-Full-Service-Bereich kreativ weiterentwickelt.
Kommentiert von: Jochen (Exciting Commerce) | 11. Januar 14 um 21:53 Uhr
@Claus Fahlbusch Im ersten Schreckmoment sicherlich. Speziell bei Esprit habe ich mich das immer gefragt. Aber nicht jede Modemarke ist zum (Online-)Händler geboren.
Kommentiert von: Jochen (Exciting Commerce) | 11. Januar 14 um 21:57 Uhr
"Arvato befindet sich derzeit in einer extremen Umbruchphase und ist gerade dabei, sich neu auszurichten."
An der Stelle habe ich gestutzt, denn diese "extreme Umbruchphase" zieht sich ja schon mittlerweile seit einigen Jahren hin.
Eigentlich bereits 2008.
Will sagen: Arvato bewegt sich schon seit längerer Zeit von einer Umbruchphase in die nächste und die Frage nach Selbständigkeit der strategischen Markteinheiten untereinander, als auch das entsprechende Verhältnis zur Konzernmutter, schwingt dabei immer mit. Weswegen die aktuelle Neuausrichtung schlimmstenfalls nur als eine weitere Etappe in einem Dauerkonflikt denn als "echter Umbruch" enden könnte.
Vor dem Hintergrund dieser Gefahr stimme ich eher Alex zu: Verwaltung statt Weiterentwicklung.
Kommentiert von: Karsten Werner | 12. Januar 14 um 14:30 Uhr
Ich denke, die Art der neu ausgehandelten Verträge entscheidet u.a. über den Erfolg dieser Übernahme. Wenn Arvato der Schritt vom (häufig im Markt kolportierten) Transaktionskosten-Modell zu einer variablen Vergütung gelungen ist, dann sichert sich das Unternehmen ein Stück weit ab.
Es kann nur sein, dass so mancher Versender darüber in einigen Monaten stolpert, wenn die aufwandsabhängigen Kosten in Rechnung gestellt werden.
Kommentiert von: Timo Koch | 13. Januar 14 um 12:47 Uhr
Billiger ist es für die Kunden bestimmt nicht geworden, aber wie auch immer das Preismodell dann aussieht, es wäre sehr wichtig, die Kunden stärker am Risiko zu beteiligen.
Solche Dinge wie "eine Kollektion floppt beim Kunden" oder "es wurde zu wenig / zu viel Ware bestellt" sollten in erster Linie beim Kunden wehtun und nicht beim Fullservice-Dienstleister, denn der kann dafür i.d.R. nichts.
Das Outsourcing des eCommerce-Themas muss (wieder) auf der Motivation fußen, dass die Kunden die Inhouse-Kompetenz nicht haben und nicht, dass sie Geld gegenüber einer eigenen Lösung sparen bzw. das unternehmerische Risiko auslagern wollen.
Kommentiert von: Claus Fahlbusch | 13. Januar 14 um 14:19 Uhr